Fulminanter Sprung in eine andere Jazz-Dimension
Jazzfans erliegen am Jazzweekend- Sonntag in Regensburg dem Charme von Bandleaderin Monika Roscher.
REGENSBURG. Am Weekend-Sonntag schlug endgültig die Stunde der Individualisten, verspätet, aber umso willkommener eingeläutet von den diversen Klangerzeugern, mit denen Drummer Moritz Baumgärtner sein Set angereichert hatte.
Mit dieser unebenen Tektonik samt kleineren Beben schiebt er die Brüder Peter und Bernhard Meyer vor sich her, die sich an Gitarre und Bass zwischen Beinahe-Stillständen und mächtigen Effekt-Collagen so selbstverständlich bewegen, dass ihnen nicht einmal die Vorhölle Angst einflößen kann. Aber auch hinter Titeln, die nicht „Limbus“, sondern „Engelstanz“ oder „Goldregenstraße“ lauten, lauern Abgründe, in die sich das Trio nur umso gelassener hineinstürzt. Und im Thon-Dittmer-Hof sind an diesem frühen Nachmittag nicht wenige bereit, ihm dabei zu folgen.
Den Weg zurück in den Mainstream ebnete anschließend Alexander von Hagke, im Zweitberuf Vortänzer beim Panzerballett. Dafür, dass seine „Fusion nouvelle“ – so der Titel seiner aktuellen CD – nicht nur die Groove-Oberfläche abgrast, sorgt zum einen der Saxophonist selbst mit den kleinen harmonischen und rhythmischen Irritationen seiner Songs und der freien Entfaltung seiner Soli. Zum anderen ist da Peter O’Mara: Wie sich der Gitarrist uneitel in das Bandkonzept seines Kollegen einfügt und dann in sound- und effekttechnisch immer neu eingefärbten Improvisationen das melodische Potenzial der Stücke entfaltet, das hat Weltklasse-Format.
Hinweggefegt wurde das – und eigentlich auch sonst alles, was an diesem Weekend noch so passiert oder auch nicht passiert war – aber schließlich vom sensationellen Auftritt der gerade mal ein Jahr alten Monika-Roscher-Big-Band am Bismarckplatz. Big Band? Na ja, das Line-Up entspricht zumindest dem, was man unter dieser Besetzung so gemeinhin versteht. Der damit verbundenen Erwartungshaltung zieht Leaderin Monika Roscher mit ihren Kompositionen und Arrangements den Boden aber so gründlich unter den Füßen weg, dass man sich eineinhalb Stunden lang in jenen Zustand „salopper Katatonie“ versetzt fühlt, als den Walter Moers’ Käpt’n Blaubär einst den Sturz in ein Dimensionsloch beschrieben hat.
Man könnte die Nummern, die da „Failure in Wonderland“, „Schnee aus Venedig“ oder „Futur drei“ heißen, nun auf ihre stilistischen Ingredienzien hin abklopfen: Filmmusik zwischen Thriller und Italo-Western, beschädigtes Blechpathos à la Kurt Weill (in der „Parade“ des munter gen Abgrund und darüber hinaus marschierenden Leichenzugs), Trip-Hop nebst Vokoder-Effekten, Independent-Rock mit zwei Akkorden und hymnischer Bläsersteigerung, das ganze jazz-rockig abgeschmeckt und mit grandiosen Soli überblasen…
Bringt aber nix. Die Musik ist versponnener, frecher, poetischer, brachialer, zärtlicher und ingeniöser als eine solche Aufzählung das vermitteln kann. Auch rein handwerklich ist da mehr dahinter als der jugendliche Überschwang einer ambitionierten Musikerin. Monika Roscher – zwischenzeitlich mit Gesichtsmaske oder Trauer-Kopfputz angetan – hat alle Hände voll zu tun, zwischen aparten Gesangseinlagen und dreckigen Zerrorgien an der Stratocaster die einkomponierten Taktwechsel zu dirigieren oder das kontrapunktische Geflecht im Bläsersatz zusammenzuhalten.
Ihrem lässigen Charme, den sie dabei, einer angesagten Indie-Frontfrau gleich, versprüht, dürften an diesem Abend alle erlegen sein, die das Glück hatten, dabei zu sein.
VON JUAN MARTIN KOCH, MZ