Jazzpodium 2013

Mit der „Kapelle der Verklärung“ auf brachial-zärtlicher Berg und Talfahrt

Ein Big-Band-Konzert in der Münchner Altstadt, zwischen Hofbräuhaus und Maximilianstraße. Eine Viertelstunde vor dem angekündigten Konzertbeginn wartet bei eisiger Kälte geduldig eine Traube von meist jungen Menschen vor dem unscheinbaren Atomic Café. Irgendwann nach acht öffnet sich endlich der Eingang, zwei Türsteher lassen die Ersten einzeln eintreten und versuchen aus der Menge eine Schlange zu formen. In Dreier- und Viererreihen füllt sie bald den Gehsteig und reicht 10, 20 Meter zurück. Als nach halb neun Uhr die Supportband beginnt, mit lautem Indie-Rock Ohren und Körper zudröhnen, strömen noch immer die Besucher herein.
Zu einem Big-Band-Konzert? Von so einem Andrang können die meisten Jazzer wohl nur träumen. Noch dazu bei der Vorstellung der ersten CD. Aber so war es am 8. Dezember 2012, beim Release-Konzert für die CD „Failure in Wonderland“ der Monika-Roscher-Bigband (ENJA Records ENJ-9585 2). Rund 350 Besucher, die meisten noch keine 30 Jahre alt, füllen schließlich den Club bis auf den letzten Stehplatz. Wunderland ja, ein Reinfall oder Versagen in keiner Hinsicht! Es wird ein aufwühlendes Konzert mit einer Big Band, die neue Wege beschreitet, eben auch auf die Bühne des „Atomic“, das auf die Beats der 60er und 70er Jahre und Indierock spezialisiert ist. Denn unabhängige, rock-affine Musik ist auch die Sache von Monika Roscher: „Ich denke für uns gibt es keinen fertigen Platz mit dazugehörigem Publikum des ‚Rock’ oder ‚Jazz’ oder ‚Indie’ oder so, eher glaube ich dass wir aus unterschiedlichen Sparten unterschiedliche Leute ansprechen können und wir möchten unser eigenes Publikum finden und ungern gleich von vorn herein in einer Sparte eingereiht werden. Leute die sich unsere Musik ‚antun’, und die sich auf unsere brachial-zärtliche Berg- und Talfahrt einlassen, können wir überall finden. Deswegen das ‚Atomic’. Für uns war es super, wir haben am gleichen Abend ein Video mitgeschnitten, darin gibt’s Eindrücke des Konzertes und unserer Feier danach. Interessant war für uns zu bemerken, dass das Publikum in Jazzclubs fast leiser ist, da herrscht oft komplette Stille und Aufmerksamkeit, im ‚Atomic’ war das lockerer, ungewohnt zu Beginn, aber auch sehr schön!“
Die Bandleaderin trägt eine Larve, wie auf dem CD- Cover, als das Konzert mit dem Titelstück „Failure in Wonderland“ beginnt. „Ich wollte auf einen privaten Maskenball in Wien im Winter vor zirka 4 Jahren, jedoch war dem Pförtner die Maske zu billig, zum Glück, denn der Abend der sich dann entwickelte, war viel besser, als der Ball hätte je sein können. Das Tragen der Maske ist wie ein Ritual und ich finde es sehr passend zur Stimmung des Liedes.“
Ihre Songs tragen nicht nur programmatische Titel, sondern die Komponistin verbindet mit ihnen auch sehr genaue Vorstellungen, wie auch vom Bandnamen. „Ganz zu Beginn sollte diese Band eigentlich ‚Die Kapelle der Verklärung’ heißen. ‚Bigband’ oder ‚Orchestra’, das klingt etwas zu glanzvoll und zu aufgeräumt – irgendwie zu wenig verrückt. Die Bezeichnung ‚Kapelle’ dagegen hat diesen kaputten, rumpelnden Beiklang, der mir gefällt. Eine Kapelle genießt in meiner Vorstellung eine gewisse Narrenfreiheit, sie ist lebendig, sie ist wild. Und genau das ist für mich wichtig: dass alle in der Band ihre Emotionen ausleben können. Egal, wenn mal ein falscher Ton dabei ist, auch egal, wenn es mal richtig kracht. Wie in dem Stück ‚Die Parade’, in dem der gesamte Trauerzug eine Klippe hinabstürzt. Es ist nicht wichtig, dass die Band fällt, wichtig ist, wie sie es tut. Inbrünstig und aus tiefster Überzeugung. So trotzt sie Leben und Tod zugleich. Darin liegt eine Idee von Freiheit, die ich in meiner Musik umzusetzen versuche.“
Leider haben die Erläuterungen, die sie im Konzert zu den Titeln gibt, anders als die Songtexte, keinen Eingang ins Booklet gefunden. „Das gibt es nur bei den Konzerten, sorry, sonst kommt ja keiner mehr…“ Monika Roscher ist Sängerin, Texterin und Komponistin, Gitarristin und Leiterin ihrer Big Band in klassischer Besetzung, dazu Organisatorin – alles in einer Person, überzeugend und gewinnend.
„Phuu, ganz ehrlich, das Organisieren tät ich sofort abgeben…, das frisst Zeit ohne Ende, man lernt auch richtig viel, aber ob das jetzt Spass macht? Naja, es ist toll, wenn es wieder weiter geht, aber das könnte ich sofort ohne Probleme abgeben. Sonst könnte ich nichts abgeben. Ich liebe es Musik zu schreiben, das ist das Beste! Handy aus, Telefon aus, und morgens hinsetzen und den ganzen Tag schreiben. Gitarre spiele ich auch voll gerne, ich mag den Dreck in dem Strat-Sound…, und singen auch. Das Texten passiert so parallel zum Schreiben. Das Dirigieren muss einfach sein, damit diese riesige Band zusammenbleibt. Ja, müsste nur das Organisieren weg. Also, wer hat Lust auf Organisieren/Booken für unsere Band? Freiwillige vor!“ Ihr Dirigat vom Bühnenrand aus ist gleichermaßen zurückhaltend wie emotional und motivierend, mit animierenden Bewegungen und bezaubernder Mimik, dass es für die Zuhörer im Publikum eine faszinierende Augenweide ist. Für die Band muss es eine Lust sein, ihr in die Weiten und Tiefen ihrer Kompositionen zu folgen. Und sie tut das mit Begeisterung, Freude und großer Intensität. Ist es das, was sie an der Band reizt? Oder gerade die Vielseitigkeit? „Beides! Die Vielseitigkeit ist noch gar nicht ganz erforscht, da geht noch einiges. Aber wenn mir das nicht gefallen würde, würde ich das Ganze nicht machen, klar, es macht einfach Spass und das ist mir wichtig. Aber wie gesagt, das liegt auch an meinen Musikern, denn alleine schafft man das gar nicht.“
Aber zusammen mit diesen gelingt ihr eine emotional anrührende Kombination von Text, Musik und Instrumentierung. Trotz konventioneller Besetzung wurde die Big Band hier ein Stück weit neu erfunden. Sound, Dynamik, phantasievolle Instrumentierung, Stimmführung, Klangminiaturen und Orchester-Bombast, immer wieder unerwartete Wendungen, eingängige melodische Passagen, schrille Klänge, Wiederholungen, repetitive Elemente der Minimal Music, tiefes Grummeln, hymnisch-heroische Anmutungen, gravitätisches Funeral-Schreiten, der Einsatz der Elektronik machen die besondere Mischung aus. Manchmal taucht eine ferne Erinnerung an das Italian Instabile Orchestra und seine Lust am De- und Rekonstruieren auf. Rund die Hälfte des Repertoires enthält Roschers gelungene Vocals, von denen einige echte Ohrwurmqualität und das Zeug zu Pop-Hits haben. Monikas Gesang ist durch Delay, Dopplung und Verzerrung verfremdet, in „Irrlicht“ irritierend abgehackt. Dazu kommen großartige Soli von Andreas Unterreiner und Matthias Lindermayr tp, Jan Kiesewetter, as, Heiko Giering, bs, Ralf Bauer, tb, Josef Ressle, p, und nicht zuletzt Monika Roscher selbst.
„Man kann nicht gerade von jedem Musiker verlangen, gedanklichen Kollektivselbstmord zu begehen. Ich kann mich glücklich schätzen, dass all die wunderbaren Musiker, die auf dieser CD oder auch auf unseren Konzerten zu hören sind, die Gabe haben, sich auf diese Bilder einzulassen und sich die Zeit nehmen, sie zu verstehen und dabei mitzuformen, sie auch mal ins Extreme übersteigern. Während der Aufnahmen für diese CD und unserer ersten kleinen Tour ist die Band sehr zusammengewachsen. Mittlerweile habe ich beim Schreiben den Klang eines jeden einzelnen Musikers im Kopf und weiß genau, wem ich welchen Part anvertrauen kann. Auf der anderen Seite muss die Band mir vertrauen, wenn sie beispielsweise meine verklärte Vorstellung einer Wüste in Töne übersetzt – wissend, dass ich nie auch nur einen Fuß in eine gesetzt habe. Aber um getreue Wiedergabe geht es schließlich gar nicht. Perfektion gilt es zu vermeiden. Es sind die Brüche und Risse, die mich überraschen und berühren: der Schönheitsmakel in der perfekten Welt der Alice – „Failure in Wonderland“. Die Spannung zwischen Harmonie und Disharmonie.“
Monika Roscher stammt aus einer Kleinstadt im Landkreis Fürth. Wie ging der Weg von dort nach München und zur eigenen Big Band? „Von Langenzenn ging’s nach Nürnberg in die Jazz- und Rockszene und dann zum Studium nach München, aber ‚studieren’ kann man wirklich überall, wo Musik gemacht wird. D. h. auch außerhalb des Studiums kann man so viel lernen, wenn man in kleinen bis großen Bands, Projekten spielt, experimentiert oder auf Konzerte geht und viel Musik hört und macht. Was die Big Band angeht, haben mir meine Dozenten Gregor Hübner und Roger Janotta als Lehrer sehr geholfen. V. a. Gregor ist extrem offen und experimentierfreudig,
und war und ist eine große Bereicherung für mich und meine Musik!“ An der Musikhochschule München ist auch die Band entstanden, als nämlich eine Eigenkomposition Monika Roschers für Big-Band-Besetzung ihr so viel Lob einbrachte, dass sie spontan Freunde und Mitstudenten fragte, ob sie in einer Big Band unter ihrer Leitung spielen wollten. Ihr Charme und Talent überzeugten und so wurde ihr Diplomabschlusskonzert im Sommer 2010 zugleich zur Premiere der auch dem Alter der Musiker nach jungen Monika Roscher Big Band. „Bei uns ist zwischen 21 und 35 Jahren alles vertreten. Einige studieren noch, einige sind schon fertig. Alle sind super Musiker und jeder hat seinen eigenen Klang und ich habe ein riesiges Glück dass ich diese tolle Besetzung meine Band nennen darf.“ Und auch altersmäßig passt die 1984 Geborene perfekt dazu. Direkt im Anschluss an diesen ersten öffentlichen Auftritt bot ein Zuhörer, der Tontechniker und Produzent Philipp Winter alias Umberto Echo, an, die Band aufzunehmen. Und mit dieser Demo-CD bewarb sich Monika Roscher ein halbes Jahr später um ein Musikstipendium der Landeshauptstadt München und erhielt den Leonhard und Ida Wolf-Gedächtnispreis 2011 zur Förderung junger Musiker unter 30 Jahren. „Mit dem Stipendium soll Frau Roscher die Fortsetzung ihres Big-Band-Projektes ermöglicht werden und damit zusammenhängend die Arbeit an der Weiterentwicklung ihres Kompositionsstils. Frau Roscher besitzt ein hohes Potential an musikalischer Fantasie und Ausdruckskraft sowie großes handwerkliches Können. Ihr Stilspektrum verbindet sowohl Elemente der Jazztradition als auch Jazzavantgarde bruchlos und spielerisch mit Anklängen aus der Popularmusik, der Weltmusik und der Minimal Music. In Verbindung mit Monika Roschers Energie, Geduld und Durchsetzungskraft kann ihr Big-Band-Projekt zu einer beständigen Einrichtung in der freien Münchner Musikzene werden und hier entsprechend neue Akzente setzen. Auf die Realisation des Big Band Projektes und vor allem auf die neuen Kompositionen dafür darf man sich freuen, da Monika Roscher offensichtlich auch die Fähigkeit hat, musikalische Grenzen mutig zu überschreiten, ohne dabei ihre Authentizität zu verlieren.“ Soweit die weitsichtige Begründung der Jury, die sich schnell bestätigt hat und wohl auch für die Zukunft gilt.
„Das Stipendium war eine tolle Sache für uns! Vor allem so früh. Denn die Stadt München hat es uns eigentlich erst ermöglicht unsere erste CD rauszubringen, denn das komplette Preisgeld wurde darin verbraten. Und wer weiß ob wir das ohne das Stipendium gleich zu Beginn alles gemacht hätten? Deswegen haben wir der Stadt München viel zu verdanken!“
Der nächste Überraschungserfolg war das Erscheinen der Debüt-CD gleich bei Enja. „Matthias Winckelmann hat sich relativ bald nach unserem Stipendium bei mir gemeldet. Ich weiß noch, dass das eine große Sache für uns war. Ich hatte mich bei ein paar Labels und eben auch bei Enja mit unserer Demo-CD beworben, eher mal so auf gut Glück, und dann hat er sich einfach gemeldet und wir haben uns ganz locker auf einen Kaffee getroffen. Wir haben uns gleich gut verstanden, Matthias ist ein sehr begeisterungsfähiger und lebendiger Mensch, das ist klasse!“ Und er ist ein echter Fan der Monika Roscher Big Band und der „Überzeugungskraft der Fränkin“ erlegen.
Das Debütkonzert fand am 3. Juli 2011 in Langenzenn statt. Es folgten Auftritte im Juli 2012 beim Bayerischen Jazzweekend in Regensburg, im Münchener Jazzclub Unterfahrt, in Fürth und wieder in Langenzenn, wo die Prophetin offensichtlich etwas gilt. „Don’t be tired, you know the night is young, set me on fire” – die Verse aus „Failure in Wonderland” könnten auch eine Einladung zum Konzertbesuch sein. Auch ein Besuch auf der Homepage www.monikaroscher.com lohnt.

Godehard Lutz